PAUSE

Hier ist es schön –

aber Finsternis breitet sich aus über D. seit der vorletzten Währungsreform: Verarmung der Reichen, immer mehr Überwachung, Seuchen ohne Ende, Zusammenbrüche in der Wirtschaft, das Ende der Artenvielfalt, Bildungstiefstand, Sterben des Ökosystems, dann noch der ständig drohende dritte Weltkrieg und die permanenten Wetterkatastrophen… Der Untergang D’s kommt einfach nicht aus der Mode, im Gegenteil, sein Höhepunkt steht ihm noch bevor – das weiß jede/r, die/der in D. lebt.

Hält man sich längere Zeit 1500 km entfernt von diesem unglücklichen Land auf, ohne Fernsehen, Radio, Presse und sogar ohne Social-Media-Kontakte, kriegt man nicht täglich die volle Ladung der politischen und kulturellen Aktualität ab, ist es interessant festzustellen, an was man sich vor allem erinnert: Die großen, die alles dominierenden Wichtigkeiten. Leitkultur zum Beispiel. Und diese Masse an wundervollen Initiativen, Vorschlägen, Stellungnahmen, Ideen! Diese zahllosen Forderungen und vor allem diese Unmenge an strengen Zurechtweisungen! Zum Glück werden die meisten Themen nur sehr selten seriös bis zum Ende diskutiert – man erfreut sich eher am Vereinfachen und am Skandalisieren und geht auch keinem Gezänk aus dem Weg…

Natürlich erinnert man sich, dass „Reich gegen Arm“ ein wesentliches Thema in D. ist, und dass da weitgehend Einigkeit herrscht: Kein reicher Mensch brauchti ein Recht auf Arbeit, Kurzarbeit, Bürgergeld oder Grundrente. Nur ein Recht auf Wohlstand… Dabei fällt mir ein:

Anfang des Jahres forderte bei der „Versammlung eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg“ der Handelskammer-Präsident, statt einer Verbotskultur brauche es eine Ermöglichungskultur, und er schlug eine „Hamburger Zukunftsklausur“ vor, bei der die Top-Leute aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft gemeinsam über die Zukunft der Stadt beraten. Tun sie das nicht schon? Egal, jedenfalls die Sozialverbände fanden beim Handelskammermann keine Erwähnung: Die Interessenvertreter von Rentnern, Arbeitslosen, Sozialhilfeempfängern, von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung, von Behinderten, Unfallopfern, Pflegefällen oder von Handwerkern, Mietervereinigungen und Gewerkschaften, die müssen nicht mitberaten, die haben die „Ehrbaren Kaufleute“ nicht auf dem Schirm… Aber man kann sich ja nicht um alles kümmern, schließlich sind auch manche Mittelständler in D. so arm, dass sie ihren Privatjet vermieten müssen, um sich einen Liegeplatz für ihre Yacht leisten zu können, bei zahlreichen Unternehmern bahnen sich mal wieder erste Hungerstreiks an, und unzählig viele Gastronomen sind nur noch eine von grober Missachtung, karger Entlohnung und erhöhter Mehrwertsteuer gebeutelte Randgruppe…

Und sonst? Aus der Ferne betrachtet schrumpft der Bundeskanzler auf das Format eines Schrottwichtels. Liefert er eigentlich immer noch Nichts, davon aber reichlich? Und der umtriebige Oppositionsanführer… Man vergisst tatsächlich, wie der aussah… Was ist denn aus seinem heroischen Kampf geworden, die AfD zu halbieren? Stattdessen wurde sie ja immer stärker. Und, wenn ich mich recht erinnere, forderte dieser Oppositionsführer ausgerechnet deshalb Neuwahlen. „Das war dann von der Birne schon falsch angesteuert“ möchte ich an dieser Stelle Sven Hannawald zitieren, als er das Skispringen in Bischofshofen kommentierte… Ja, so von Außen betrachtet, mutiert das Wichtige zum Lächerlichen, und wer Friedrich Merz als letzte Chance hat, ist nicht zu beneiden…

Ich möchte wetten, die Mehrheit der Bürger in D. ist nach wie vor der Ansicht, dass zu viele Migranten nach D. kommen, und sie streiten sich darüber, ob das obszöne Rückführungsverbesserungsgesetz eine
Verbesserung ist, ob das angeblich verbesserte Gesetz die Lage der Geflüchteten nicht eher verschlimmert, und wer wohl diese monströse deutsche Wortkonstruktion erfunden hat… Letzte Nacht hatte ich übrigens einen Traum, die deutsche Leitkultur betreffend: Ich träumte, eine große Zahl von Migranten sagt jeden Morgen, gleich nach dem Aufstehen, „Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein“. Diese überaus gutwilligen Migranten tragen das ganze Jahr über eine Zipfelmütze und feiern ununterbrochen Weihnachten: Sie bekleiden das Jesuskind in der Krippe nicht mit einer schwarz-weißen Kufija, sondern mit der putzigen Uniform eines schneidigen deutschen Panzergrenadiers, setzen ihm einen Stahlhelm auf und wickeln es in eine schwarz-rot-goldene Fahne. Und jeden Abend vor dem Zubettgehen beten sie, der Herr möge ihre Nachbarn verschonen vor dem Zuzug all jener, die sich bessere Lebensbedingungen erhoffen und im christlichen Abendland Schutz suchen vor Verfolgung, Folter und Hunger. Amen…

Und was noch? Naja, Russland und China, vermute ich, sind immer noch die Hauptfeinde, bedingungslose Unterstützung der USA ist Staatsraison, und die deutschen Medien sind so uniformiert wie seit langem nicht mehr.
Gruselig ist die Erinnerung an die Bellizisten, die in Parlament und Talkshows ihren Siegeswillen Gassi führen. Furchterregende Leute sind das, die für Krieg statt Diplomatie und Frieden eintreten, für mehr Waffen statt Bildung und besserer Gesundheitsversorgung. Sie glauben nicht nur, dass Leopard, Taurus, Kampfflugzeuge und Millionen Schuss Munition die Menschheit vor dem Ansteigen des Meeresspiegels schützen und unsere Böden und Wälder wiederherstellen, sondern auch, dass mit Stacheldraht umzäunte EU-Außenlager und die guten Beziehungen zu kriminellen Despoten den Geflüchteten in aller Welt aus ihrer Not heraushelfen…

Und was wird aus D? Es wird seinen Bewohnern viel besser gehen, wenn sie eines Tages einsehen, dass sie die Reichtümer der Welt teilen müssen. Friedlich und freiwillig. Warten wir’s ab.

4.Febr.24


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