MEIN KAMPF reloaded

Den Nationalsozialismus erlebte ich zum ersten Mal im Alter von 5 Jahren: Man hatte mich aus dem Zimmer geworfen, weil ich, ein notorisch schlechter Verlierer, das „Mensch-Ärgere-Dich-Nicht“-Brett wutschnaubend vom Tisch gefegt hatte. Nun hörte ich, ins düstere Treppenhaus verbannt, aus einem Radio irgendwo im Dunklen einen zornbebenden Fleischerhund jaulen und bellen, vielleicht war’s auch ein brüllender Drache, ausgebrochen aus dem dunkelsten Kohlenkeller, vor dessen furchterregendem Knurren, Krächzen und Keuchen man sich nicht verstecken und dessen Fangzähnen man nicht entkommen konnte. Ich hatte furchtbare Angst, obwohl ich ganz genau wusste: Das war nur der deutscher Führer, der gerade die Feinde vernichtete…

In den folgenden acht Jahrzehnten begegnete ich zu meiner Verwunderung immer wieder Gefolgsleuten dieses Brüllaffen. Nicht nur schmissigen Burschenschaftern und ihren strammen „alten Herren“, sondern Leuten aus allen Schichten und in den unterschiedlichsten Positionen: Vom Handwerker, der mühsam seinen SUV abzahlt und der schwäbischen Hausfrau, die ihre Spätzle in die Länge zieht, über die Schwadroneure am Kiosk im Thüringer Wald und die Chemnitzer Adolf-Hitler-Hooligans mitsamt ihren Kameraden in der sächsischen Justiz, bis hin zu den Landtags- und Bundestagsabgeordneten (beileibe nicht nur aus der AfD) mit ihrer SA-Mentalität und den Landräten und Bürgermeistern aus der nationalistisch – rassistischen Ecke. Sie alle legen größten Wert darauf, nicht als Nazis bezeichnet zu werden, sind es aber. Sie gebärden sich als überaus korrekte Bürger, entpuppen sich aber als Miniaturhitler, wenn sie mit ihren Wahnvorstellungen Stammtische, Vereine, Nachbarn und vor allem Leute, denen der Scheuerlappengeruch des Daseins stinkt, missionieren. Jeder kann diese Rechtsradikalen erkennen – wenn nicht an der 18 (AH) oder der 88 (Heil Hitler) auf ihrem Autokennzeichen, dann an ihrem Nazigequatsche (kursiv):

Für Hitler kam immer Deutschland zuerst.
Ausländer, vor allem Schwarze, durften sich damals nicht auf deutsche Kosten in Deutschland breit machen. Untermenschen ließ er aussortieren. Hitler sorgte für eine normale und wahrheitsgemäße Berichterstattung in den Medien.
Hitler scheute sich nicht, bei Bedarf die Todesstrafe zu praktizieren. Wat mutt, dat mutt. Jawohl, Adolf Hitler hat für Recht und Ordnung gesorgt! Er hat sich intensiv um die Jugend gekümmert, sogar um die Mädchen. Über seine Gesundheitspolitik konnte man wirklich nicht meckern. Er wusste, wie man mit lebensunwertem Leben umgeht. Zu Hitlers Zeit gab’s bei Polizei und Staatssicherheit keinen Personalmangel. International war Hitler der Einzige, der Deutschland den ihm gebührenden Platz in der Geschichte erkämpft hat. Hitler hat ja nicht nur die Arbeitslosen von der Straße geholt und die Autobahnen gebaut, nein, er hat im deutschen Volk auch den Wehrwillen total gestärkt. Dass Hitler den Krieg verloren hat, das war ja nicht seine Schuld, das lag vor allem daran, dass die alliierten Bombenangriffe überhaupt keine Rücksicht auf die Zivilbevölkerung genommen haben. Holocaust? Maßlos übertrieben. Alle Zahlen manipuliert. In Auschwitz gab es keine Öfen. Außerdem war Hitler ein großartiger Architekt und Maler, weil er echt was von Kunst verstand!

Stop! Moment!

Gepeinigt von so viel Idiotie, aber auch, um eventuell zustimmendes Kopfnicken sofort abzubremsen, möchte ich energisch darauf hinweisen: „Mein Kampf“, Hitlers Opus Magnum, die heilige Schrift des braunen Gesindels, ist ein unglaublich beschissenes Buch – es ist nicht nur inhaltlich absolut indiskutabel, auch Syntax, Grammatik und Metaphern vegetieren unterhalb jeder Würde. Hitler war ein lausiger österreichischer Schriftsteller, für den die deutsche Sprache offenkundig ein unüberwindliches Hindernis darstellte. Die folgenden Hitler-Zitate (fett) kann, wer will, auf die zur Zeit stattfindenden Demonstrationen gegen die Rechtsradikalen beziehen. Hitler schrieb vor rund 100 Jahren:

In kurzer Zeit aber war ich empört , als ich das jämmerliche Schauspiel sah, das sich nun unter meinen Augen abrollte.
Schrecklich… Ich kann nur hoffen, dass sich unter meinen Augen niemals etwas abrollt, zum Beispiel Klopapier. Und weiter:
Der geistige Gehalt des Vorgebrachten lag auf einer wahrhaft niederdrückenden Höhe.
Tja, wenn der geistige Gehalt auf der niederdrückenden Höhe liegt, sinkt das Konstrukt ins Unterirdische. Woran liegt’s?
Dem irrlichternden, scheinbar tiefste Weisheit mühsam ausdrückenden Wortgeflunker, der widerlich humanen Moral – alles mit der eisernen Stirn einer prophetischen Sicherheit hingeschrieben –
Wie kann ein Wortgeflunker irrlichtern und gleichzeitig aber nur scheinbar tiefste Weisheit ausdrücken? Ach so, er versucht mit eiserner Stirn zu schreiben. Das geht natürlich nicht. Warum nimmt er nicht einen Bleistift?
Dieses Studieren kann nicht von oben herunter geschehen.
Da hat er recht. Versuch’s mal von unten hinauf, Adolf.
Die Schwierigkeit dieses besonderen Falles führte mich zu einer gründlicheren Betrachtung des Problems an sich, als dies sonst wohl in so jungen Jahren eingetreten wäre.
Das Problem ist, dass dieser Unsinn erstmal eingedeutscht werden muss.
Wer nicht selber in den Klammern dieser würgenden Natter sich befindet, lernt ihre Giftzähne niemals kennen.
Ist klar – die Würgenatter hängt ihre Wäsche mit Klammern an die Leine und nicht an ihre Giftzähne.
Die Unsicherheit des täglichen Brotverdienstes erschien mir in kurzer Zeit als eine der schwersten Schattenseiten des neuen Lebens.
Ich verstehe ungefähr, was er sagen will: On the sunny side of the street gibt’s keine Schattenseite des unsicheren Brotes. Es ist alles eine Frage des Verdienstes, allerdings nicht für lange.
Die Erfahrung zeigt, dass alle auswandernden Elemente eher aus den gesündesten und tatkräftigsten Naturen bestehen als etwa umgekehrt.
Ist doch logo: Die gesündesten und tatkräftigsten Naturen bestehen aus auswandernden Elementen, oder?

Zum Glück hatte Adolf Hitler keine persönlich gezeugten Nachkommen, sonst hätten wir vermutlich nordkoreanische Verhältnisse und an der Staatsspitze eine Erbfolge wie von Kim Il-sung über Kim Jong-il zu Kim Jong-un, und die Regeln für die deutsche Sprache würden von Familie Hitler bestimmt und aus deren Reden und Schriften abgeleitet…

20. 01. 2024


Die Schweinebande

Heute, liebe Kinder, erzähle ich Euch mal was von unseren deutschen Bauern, und ich beginne in den Jahren 1945/46. Damals gab es ja noch keine Bio-Bauern oder Landwirte, die nachhaltig Lebensmittel produzierten und so die Gesundheit der Konsumenten überwachten, und die auch gern ein wenig mehr für den Liter Diesel bezahlen…
Damals zogen tausende Geflüchtete aus Ostpreußen, Pommern oder aus dem Baltikum, die vor der russischen Besatzung in die britische Zone geflohen waren, durch das Land. Dazu kamen zahlreiche Menschen aus den von der Nazi-Armee besetzten Ländern Skandinaviens, die zur Zwangsarbeit „im Reich“ gepresst worden waren und nun auf dem Weg waren Richtung Dänemark. Die Bauern, Nährstand genannt und der deutschen Scholle heimattreu verbunden, auch sturmfest und erdverwachsen, verfolgten diese Völkerwanderung mit Abscheu. Hoffentlich waren diese Städter nicht ansteckend. Unterernährung? Neumodischer Kram. So etwas wollen wir hier nicht. Jahrelang war es den fetten und hochmütigen Bauern prächtig gegangen, weil polnische und russische »Zwangsarbeiter«, im Nazi-Reich schönfärberisch „Fremdarbeiter“ genannt, die Arbeit auf den Höfen erledigt und dafür gesorgt hatten, dass die Speicher voll waren. Und nun diese Invasion von hungrigen und dreckigen Flüchtlingen, die alle um Hilfe baten …
Alle, die mal auf der Flucht waren oder aus der Heimat vertrieben, alle, die in tiefster Not einen Bauern um einen Bissen Brot gebeten haben, mussten lernen: Meide den deutschen Bauernhof! Es sei denn, du besitzt eine Schusswaffe oder ein bisschen Familienschmuck. Für deinen Siegelring darfst du möglicherweise sogar den bäuerlichen Abort benutzen. Und bringst du einen wertvollen Teppich oder einen Flügel mit, kannst du darauf hoffen, den Bauernhof mit drei Möhren oder zwei Eiern zu verlassen, ohne dass dich der Hofhund zerfleischt…
Dann aber machte das deutsche Wirtschaftswunder der Bettelei ein Ende. Zum Ausgleich durften die Bauern nun um ihrer Profite Willen die Fettleibigkeit der Bevölkerung billigend in Kauf nehmen, weil sie es nicht besser wussten, obwohl ein großer Teil von ihnen sogar ein Diplom in der Tasche hatte. Die Bauern erwiesen sich in der Folgezeit als arme, hilflose, aber auch liebenswerte Tölpel, die von einer heimtückischen Industrie, von Verbrauchern und den europäischen Behörden über den Tisch gezogen wurden, obwohl Dürre und Überschwemmung immer abwechselnd ihre Ackerflächen ruinierten und alle ihre Gesuche um ein bisschen höhere Subventionen immer wieder brutal abgeschmettert wurden, während sie selbst im Fernsehen notgedrungen nach einer opferbereiten Ehefrau suchen mussten…
Heute gilt der deutsche Bauer als größter Umweltverbrecher im Land nach dem Auto. Übelwollende Veganer behaupten, darüber würden auch keine Traktoren-Demos hinweg-täuschen, im Gegenteil, man müsse sich fragen: Wieso können Bauern eigentlich nicht zu Fuß demonstrieren, wie andere Leute auch? Und sie verlangen, man solle die ganze Schweinebande kopfüber in ihre Komposthaufen stecken.
Doch das ist zutiefst ungerecht: Die Trecker sind die Panzer der kleinen Leute, und dass die Bauern gemeinsame Sache machen mit den Klimaklebern von der letzten Generation, das ist großartig und beweist: Hier arbeiten Tradition und Moderne Hand in Hand. Und dass etliche Führungskräfte der Grünen tagtäglich im Fernsehen mit ihrem Erscheinungsbild für die Massentierhaltung demonstrieren, zeigt, wie harmonisch die Beziehung von Billigfleischtheke und politischer Verantwortung funktioniert.

Januar 2024


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