LIEB’ VATERLAND, MAGST RUHIG SEIN

Das Hamburger Abendblatt gilt als seriöse Zeitung, sowohl für Leute, die ihren Psychosen und ihrem Verfolgungswahn Nahrung zuführen wollen, wie auch für Leute, die gerne in Sicherheit gewiegt werden. Ausgerechnet zu Pfingsten, diesem Fest der Kommunikation, als „alle mit dem Heiligen Geist erfüllt wurden und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab“ ,„feiert“ (infantiles Neudeutsch à la mode) diese Familienzeitung die Heimatschutz-Kompanie Hamburg – 5 Frauen und 140 Männer, die sich freiwillig gemeldet haben, um auf Kasernenhöfen ein „Hartes Training für den Ernstfall“ zu absolvieren. Mit dabei sind laut Abendblatt „Juristen, Studenten und andere Zivilisten“, die „schießen, laufen und retten“ und „in ihrer Freizeit mit Maschinengewehren und Pistolen“ auf „menschliche Silhouetten aus Papier anlegen“. „Üben, üben, üben“ – lautet die Devise, denn „jetzt wird vielen wieder bewusst, dass wir in der Lage sein müssen, uns zu verteidigen“, sagt ein Sprecher der Bundeswehr.
Gegen wen? Das wird nicht gesagt oder geschrieben. Das ist wohl (noch) geheim. Und was ist mit „Ernstfall“ gemeint? Das wird auch verschwiegen.
Ich nehme ja nicht an, dass da in der Wolle braun gefärbte Militaristen Waffennarren und andere Gestörte für’s Amoklaufen, Anschläge und Attentate ausbilden oder die morschen Knochen von fanatischen Reichsbürgern für einen Putsch und die Machtübernahme drillen – nein, das würde das Hamburger Abendblatt seinen Abonnenten ja ehrlich mitteilen, genauso, wenn der Prepper-Verein HH eine Organisation „Werwolf“ aufbauen würde, also eine Untergrund- und Sabotagebewegung, falls der Endsieg eines Tages wider Erwarten ausbliebe…
Ich denke, der Heimatschutzkompanie kommt es in erster Linie darauf an, „Gegner kampfunfähig zu machen: Zwei Schüsse in die Bravozone und ein Nachschuss in die Charlyzone“, worunter man wohl das Allerheiligste versteht, das nicht von einer Schussweste behütet wird. Wer der „Gegner“ ist, wird natürlich auch nicht verraten.
Aber es ist auf jeden Fall ein Feind oder eine Feindin. Und um die zu erledigen, ist wohl das Wichtigste der Teamgeist (Pfingsten!). Der hervorragende Abendblatt-Journalist Axel Leonhard beschreibt eindringlich, und er belegt das durch ein rätselhaftes Actionfoto, wie der Teamgeist in unserer Hamburger Last-Minute-Resistance mit modernsten Methoden animiert wird: „Um die Teamfähigkeit zu stärken, muss Kim mit Kiwi auf einem Löffel über einen Balken balancieren“, und das ist auch gut so, denn im Ernstfall sind diese Männer und Frauen verpflichtet, zu töten und zu sterben, wenn sie Hamburg, insbesondere die Elbbrücken, verteidigen. Wer sich nun immer noch fragt „Gegen wen?“, dem sage ich hier und jetzt die unverblümte Wahrheit: Gegen Pinneberg (PI), Bad Oldesloe (OD), Bad Segeberg (SE) und gegen Winsen/Luhe (WL). Ich, in grauer Vorzeit gemustert für die Ersatzreserve 2, werde jedoch, wenn man mich zur Fahne ruft, hurtig desertieren.

28. Mai 23


Wenn die bunten Fahnen wehen

Mit mehr als 26 Millionen Toten hatte die Sowjetunion die größten Verluste der Alliierten im 2. Weltkrieg. 26 Millionen Tote – das war der Roten Armee und der hinter ihr stehenden Zivilbevölkerung die Befreiung Europas vom Faschismus wert. Wir im Ampel-Land hätten also jeden Grund zur Dankbarkeit und zu freundlichen Gedanken an die deutsche Niederlage 1945. Stattdessen setzten wir Polizei und Justiz in Marsch, um die letzten Reste an gemeinsamen Interessen mit Russland aus unserem Bewusstsein zu tilgen: Bei Gedenkveranstaltungen zum Ende des Zweiten Weltkriegs durften in Berlin keine russischen Fahnen gezeigt werden – sie könnten ja „im aktuellen Kontext als Sympathiebekundung für die Kriegsführung verstanden werden“, hieß es in einer aberwitzigen Pressemitteilung des Gerichts.

Die Flagge Russlands ist eine Trikolore und kann sehr leicht mit der der Flagge der Niederlande oder Frankreichs oder sogar Schleswig-Holsteins verwechselt werden. Nun mal davon abgesehen, dass jede staatlich angeordnete Beflaggung eine äußerst fragwürdige Demonstration von Nationalbewusstsein und deswegen ein durchaus albernes Ritual ist:
Den Russen, mit denen wir nicht im Krieg sind, ihre Fahne zu verbieten, an ihrem größten Feiertag, das ist vermutlich nicht nur revanchistisch, das ist auch hysterisch, kleinkariert und piefig. Solche Aktionen aus dem Ungeist von Frau Strack- Zimmermann und artverwandten Militärapostel*innen dienen nicht dem Frieden, sondern heizen die Kriegs-Stimmung an.

Dieses blödsinnige Verhalten der Behörden lehrt uns: Man kann in jedem System und unter jedem Regime kreuzunglücklich sein. Glücklich allerdings auch. Wie auch immer: Man hat nicht die geringste Kontrolle über die Geschehnisse, und angesichts der offiziellen Propaganda weiß auch niemand mit Sicherheit, ob diese Geschehnisse gut sind oder schlecht. Das einzige, was man einigermaßen kontrollieren kann, ist die Art, wie man die Ereignisse analysiert, und wenn man dann erkennt, dass man nicht wegen dieser Ereignisse unglücklich ist, sondern wegen des Urteils, das man über sie fällt, kommt man unweigerlich zu dem Ergebnis: Das beste, was einem passieren kann, ist, dass einem rechtzeitig der Himmel auf den Kopf fällt.

10. Mai 23


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