Tucho ist traurig –

An der Artillerieschule in Ida-Oberstein (sowas gibt’s – 2022!) lernen nationalbewusste und kriegsbereite Menschen aus der Ukraine von uns Deutschen, die Panzerhaubitze 2000 artgerecht einzusetzen: Sechs Granaten so abzufeuern, dass sie in 40 Kilometer Entfernung gleichzeitig einschlagen. Kann man ihnen nichts Vernünftiges beibringen? Leider ist zu vermuten, dass nicht nur die Sachschäden, sondern auch die Kollateralschäden zur Zufriedenheit der deutschen Regierungsmitglieder ausfallen… Tut mir leid, Tucho, es bleibt dabei: Soldatinnen und Soldaten sind Mörderinnen und Mörder.

13. Mai 22


Kultura nix gutt

Vor einigen Wochen konnte man auf ARTE Journal ein Interview mit dem russischen Regisseur Kirill Semjonowitsch Serebrennikow sehen. Am Schluss fragte die Moderatorin den Künstler: Werden Sie denn nun nach Beendigung Ihrer Arbeit nach Russland zurückkehren oder bleiben Sie hier in Europa? Sie hatte also verstanden: Kulturschaffende müssen sich für die richtige, die gute Seite entscheiden, bis der Feind bezwungen ist, genau so, wie sie in den bösen Corona-Lockdown-Zeiten eine Maske getragen und jeden Auftritt verweigert haben, bis die Seuche in die Knie ging.
Gewiss, fast alle Theater- und Konzert – Veranstalter haben erbarmungswürdig gejammert, und viele Künstlerinnen und Künstler beklagten die fehlenden Auftrittsmöglichkeiten, doch das Publikum, seien wir mal ehrlich, atmete erleichtert auf: Endlich keine teuren Eintrittskarten mehr bezahlen zu müssen, nicht mehr im unbequemen Gestühl sitzen und nicht husten zu dürfen, sich nicht mehr um Verständnis bemühen und hinterher was Kluges sagen zu müssen, endlich zugeben zu können, dass menschenwürdiges Leben auch ohne Kultur möglich ist, gemütlich zu Hause zu bleiben, sich endlich alle noch nicht gesehenen Serien reinzuziehen und unwidersprochen feststellen zu können, Netflix macht auch eine ganz prima Kulturarbeit, kulturloses Leben kann ja sooo schön sein…!
Ich bin mit unseren politischen, wirtschaftlichen und moralischen Anführern ganz einer Meinung: Was die europäische Menschheit zum Sieg über Covid geführt hat, wird ihr auch zum Triumph über den russischen Aggressor verhelfen. Wir brauchen einen weiteren kulturellen Abschwung, wir müssen die russische Abteilung endgültig aus der europäischen Kultur ausgliedern und alle kulturellen Kontakte zu Russland löschen.
Kultur in Russland, das ist und war nie europäische, sondern immer russische Kultur, die nicht denkbar ist ohne Erpressung, Krieg, Massenmord, Vergewaltigung, Besetzung und Ausplünderung fremden Territoriums. Also: Russen raus aus der Kultur.
Insofern ist es gut, wenn die Filmfestspiele in Cannes keine russische Delegation einladen, weil man nur zu genau weiß, wie die Russen ihre Hotelzimmer hinterlassen. Aber dass der russische Pavillon auf der Biennale in Venedig nur geschlossen ist, reicht nicht: Er muss auch abgerissen werden! Sehr kulturbewusst ist es, wenn die Kunstsammlungen Dresden die Zusammenarbeit mit staatlichen russischen Stellen, also der Mafia, einfrieren, weil die nur erneut das Grüne Gewölbe ausrauben wollen. Zum Glück gibt es in Luzern kein Festival russischer Kammermusik, denn man weiß ja, dass seit dem Don-Kosaken-Chor akustischer Terror zum Waffenarsenal der Russen gehört, und in London und New York sind Kooperationen mit dem Bolshoi-Ensemble abgesagt, weil westliche Kultur-Bedürfnisse mit Lady Gaga vollauf befriedigt werden. Vorbildlich ist, wie der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz alle Projekte und Zukunftspläne mit Russland auf Eis gelegt hat, denn im Permafrost vergeht jeglicher Kultur das Blühen und Gedeihen, und großartig ist auch, dass nichtstaatliche Galerien in München und Stuttgart alle Leihanfragen aus Russland geblockt haben – man weiß ja schließlich, dass die Russen entliehene Kulturschätze als Beutegut betrachten und nie mehr zurückgeben. Dank auch an die englische BBC, die keine Lizenzen mehr an russische Sender verkauft, und genauso an Hollywood , das alle Geschäfte mit Russland gestoppt hat. Sollen die Russen doch an kulturellen Hungerödemen verrecken!
Überaus sinnvoll ist auch, wenn die internationale Literatur- und Verlagswelt dem Aufruf des Ukrainischen Pen folgt, Bücher aus Russland zu boykottieren – das beweist einmal mehr die Solidarität des Westens mit Stepan Bandera, dem Nationalhelden der Ukraine, und dessen Gesinnungsnachfolger, dem Botschafter Melnyk. Die kulturbeflissenen Menschen in Deutschland wünschen sich dringend eine öffentliche Verbrennung der Werke von Dostojevski, Tolstoi, Gogol, Puschkin und anderen Unterstützern von Putin. Werke wie Schuld und Sühne, Der Idiot, Die Dämonen, Die Brüder Karamasow, Der Spieler – allesamt verdächtig der Beschießung von Mariupol, kommen auf den Index, Theaterstücke wie ,„Die Möwe“, „Onkel Wanja“, „Drei Schwestern“ oder „Der Revisor“ sind wegen Russenversteherei ab sofort verboten. Und was die Malerei betrifft:
Vernissagen zwischen Helsinki und Neapel, Flensburg und San Francisco dürfen nur noch unter dem Titel „Entartete Kunst – Russen Raus!“ stattfinden. Bilder von Vassily Kandinsky, auch wenn er zur Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“ gehört hat, und Marc Chagall (d.i. Moische Chazkelewitsch Schagal aus Witebsk, einer russischen Stadt in Belarus) werden als Sanktionsmaßnahmen in allen Museen abgehängt und in den Privatbesitz amerikanischer Oligarchen überstellt, desgleichen aber auch die Werke von Malewitsch, dessen berühmtes „Schwarzes Quadrat“ zwar noch an der Wand der Moskauer Tretjakow-Galerie hängt, dessen späteres Werk „Weiß auf Weiß“ im New Yorker Museum of Modern Art aber bereits mit Warnhinweisen versehen ist.
Lebende Sänger und Sängerinnen sowie Dirigenten aus Russland, die nicht bereit waren, Treueschwüre gegenüber der Nato und den EU-Staatschefs abzugeben, wurden bereits unter allgemeinem öffentlichen Beifall aus dem westlichen Kulturleben hinaus sanktioniert.
Nun werden, um unnötiges Aufsehen zu vermeiden, auch die toten Komponisten aus den Konzertsälen und Rundfunkarchiven eliminiert, u.a. Tschaikowski, Rachmaninoff, Stravinsky und Schostakowitsch, denn niemand braucht eine musikalische Untermalung marschierender russischer Soldatenstiefel. Und was die Opern betrifft: Eugen Onegin, Pique Dame, Boris Godunov und  die gesamte Truppe aus Krieg und Frieden von Sergei Prokofjew dient einzig und allein der Agitation und Förderung der Gewaltbereitschaft russischer Aggressoren. Dieses Gesindel ist auf unseren Bühnen nicht mehr willkommen. Vielmehr begrüßen wir es, dass kulturell hochstehende Konzerne wie Ikea, H&M, Obi, Puma oder Louis Vuitton ihre Geschäftsbeziehungen mit Russland sang- und klanglos beendet haben. Und besonders erfreulich: Die Fédération Internationale Féline hat in Russland gezüchtete Katzen und Kater von all ihren Ausstellungen ausgeschlossen. Vorwärts mit den Kultur-Sanktionen zum ewigen Frieden!

13. Mai 22


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