Hinterbänklers Standard-Wahlkampf-Rede

Die existenziellen Probleme in unserer Demokratie, um die es uns geht, meine Damen und Herren, liebe Freunde, und die notwendigen Entscheidungen, das sage ich Ihnen ganz ehrlich, sind doch im Grunde. Das bestreiten zu wollen, gefährdet jeglichen Rückhalt in unserer Bevölkerung. Und das lernen wir doch aus der Geschichte, nicht wahr, gerade in Anbetracht der angespannten Situation inmitten einer Schicksalsfrage! Ich betone das in vollem Ernst, weil erstens einfache Lösungen und zweitens auch nichts anderes. Der deutsche Wald darf auch nicht als Einbahnstraße abgehakt werden wie Schnee von gestern, bloß weil wir uns gesicherte Erkenntnisse ohne Gestaltung der Zukunft nicht länger leisten können. Denn ohne solide Absicherung ins Uferlose sind verantwortungslose Experimente zum Scheitern verurteilt: Wir dürfen nicht länger in dieser Gretchenfrage unserer Nation alle Menetekel in den Wind schreiben, als hätten wir schon und könnten uns mal, nur weil einige extreme Weltverbesserer ihr sozialistisches Süppchen planlos vor die Wand fahren! Wer stürzt denn dann ins Bodenlose bis im Hinblick? Das geht uns doch alle an! Hier nähren die Vorgänge doch die Vermutung! Und es wäre ja auch nicht das erste Mal, dass die gemachten Vorschläge in Anbetracht nicht reichen, weder hinten noch vorne. Gewiss in Anbetracht! Und wenn Sie mich fragen, wo genau das liegt: Ich weiß es nicht, aber ich gehe davon aus, Anbetracht liegt im Vorfeld, und darin liegt ja auch das Schicksalhafte.

Nun aber frage ich mal zurück: Wo sind sie denn, unsere Alles in Allem? 

Worauf es bei dieser Wahl ankommt, das ist doch die Signalwirkung gerade der Menschen draußen im Lande. Das hat sich hinlänglich erwiesen, vor allem im Einklang hinsichtlich der Auswirkungen für die Zukunft.  Und gerade, wenn möglichst viele Wählerinnen und Wähler in den Städten und Gemeinden in ihren Lebensabschnitten verharren, ist es von großer Bedeutung für alle Teile der Gesellschaft ohne eine einzige eigene Meinung. 

Und nun denken Sie mal ein Stück weiter, meine Damen und Herren, denn das ist  von immenser Wichtigkeit nicht nur im Augenblick, sondern auch mit Blick aufs Klima  – was ich persönlich gern unterstütze, ohne es verhindern zu müssen. Und um den Gestaltungsprozess der Situation entsprechend voranzutreiben, setze ich mich entschieden dafür ein, dass unser aller Zukunft auf der Straße liegt. Reformstau und  eindimensionale Haushaltsplanung müssen wir auch weiterhin mit dem Anspruch verbinden, dass die nachfolgenden Generationen diesbezüglich im luftleeren Raume stehen werden. 

Wir alle dürfen hier auch mal ein Opfer unter dem Strich bringen, meine Damen und Herren, und zwar mit Augenmaß auf Augenhöhe! Es ist ein Grundrecht des deutschen Volkes, vor den Rahmenbedingungen aller Eckdaten nicht die Augen zu verschließen. Und das ist volkswirtschaftlich keine Hinhaltetaktik, auch keine blauäugige Alternative, sondern ein schlichtes Privileg, und zwar für alle Schichten unseres Volkes. 

Und ich verspreche Ihnen: Wir werden dafür kompromisslos einknicken! 

Liebe Freunde, auch wenn ich hier heute vor Ihnen stehe ohne Programm, ohne Konzept, ohne jedes Argument und gegen jede Vernunft zum Wohle für unseren gemeinsamen  Weg – wählen Sie meine Partei, unterstützen Sie mich, vor allem finanziell, und glauben Sie mir: Sie mich auch!

25. 6. 21


Transparenz & Offenheit

Kaum zu glauben, aber es gab ein Leben vor Annalena – ein Gegenmilieu zu den Parteien, eine links-alternative, kapitalismuskritische Szene: Anti-AKW- und Friedensbewegung, Antifa, Umwelt- und Kinder-Initiativen, Dritte-Welt-Gruppen, Frauen-Aktivistinnen, Hausbesetzer*innen usw. Klar, dass da Mitte der 1970er die Idee aufkam, eine Anti-Parteien-Partei zu gründen: Befürworter waren der Ansicht, es wäre sinnvoll, dieses Protestpotential im Parlament zu bündeln, Gegner sprachen vom Ausverkauf der bunten Wehrt-Euch-Ideen. Einig war man sich darin, dass Berufspolitiker und Berufspolitikerinnen den Menschen mehr schaden als nützen und nur Übelkeit verursachen.
Auf dem Gründungsparteitag, 11 Monate vor Annalenas Geburt, mahnte ein misstrauischer Delegierter: „Sägt euch doch nicht das linke Bein ab – ihr wisst doch gar nicht, wie die Krücken aussehen, mit denen ihr uns davon humpeln wollt“. Das Krücken-Argument zog nicht, die sogenannten Ökopaxe gründeten ihre Partei – ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei, aber mit einem Unvereinbarkeitsbeschluss gegen Kommunisten. Das war die erste Krücke.
Die zweite Krücke hieß „Anpassung“. Dafür schaffte man die Rotation der Abgeordneten ab, die ein grünes Berufspolitikertum verhindern sollte. Damit die Grünen in die Gemeinschaft der etablierten Parteien aufgenommen wurden, mussten nur noch die an den außerparlamentarischen Bewegungen orientierten Ökosozialisten, „Fundis“ genannt, eliminiert werden. Das gelang mittels der üblichen Intrigen, interner Abstimmungsmanipulationen und dem Druck der bürgerlichen Medien. Die Erinnerung an die Fundis ist mittlerweile entsorgt.
Die auf Regierungsbeteiligung fixierten „Realos“ aber humpelten mit Hilfe der Krücken „Ideologie Nein Danke“ und „Beziehungen knüpfen“ weiter Richtung allgemeiner Akzeptanz. Konsens war: Lange Haare ja, aber gepflegt müssen sie sein.
Grüner Gestaltungswille personifizierte sich in einem gewaltbereiten und machtbewussten Ex-Sponti, der es fertig brachte, Auschwitz für den von ihm mitverantworteten Jugoslawien-Krieg zu instrumentalisieren. Seitdem stehen auch ehemalige grüne Pazifisten keinem Waffenhandel mehr im Weg und stimmen, gestützt auf die Krücken „Macht“ und „Kontrolle“, Bundeswehreinsätzen in Kriegsgebieten zu.
Zügig kanalisierten die Grünen jeden bunten Widerstand in parlamentarisch-etablierte Bahnen, bis es so weit kam, dass eine Ex-Bundessprecherin der Grünen im Management der Gelsenwasser AG anheuerte. Die Krücken hießen nun „Professionalisierung“ und „Fernseh-Präsenz“. Stromlinienförmig hielt der bedeutendste Dosenpfandminister aller Zeiten die Castor-Atommüll-Transporte für rechtlich unabwendbar und Protestaktionen dagegen für falsch. Die einst angestrebte Umverteilung von Oben nach Unten holte der Wachtelkönig, und Widerstand gegen Hartz 4 und die Agenda 2010 wurde im nächsten Feuchtbiotop verklappt. Die Krücken „Sozialabbau“ und „Profitstreben“ waren fortan unverzichtbar, und damit Deutschland im Globalisierungswettlauf wirtschaftlich nicht abgehängt wird, ersetzten die Grünen Kapitalismus-Kritik durch neoliberales Marktwirtschaftsgezeter: Massentierhaltung und Fleisch- Industrie durften weiterwursteln, Kohlekraftwerke waren in Ordnung, wenn sie zur Regierungsbeteiligung führten, Industriebetriebe wurden subventioniert, auch wenn sie einerseits Kurzarbeit verfügten, aber andererseits den Aktionären obszöne Dividende zuschoben, und ein bundesweiter Mietendeckel kommt vielleicht eher lieber doch nicht bestimmt. Grüne Funktionäre wissen, der Regierung wie auch der Opposition anzugehören, erhöht die Glaubwürdigkeit, man humpelt immer dynamischer, und die Krücken dafür heißen „Populismus“ und „Fortschrittsgläubigkeit“. Im Fernseh-Talkshow-Karussell wird deutlich: Voller Einsatz für Nawalny, kein Einsatz für Assange oder Snowden, geschweige denn Sanktionen gegen die USA. Gespannt wartet das Volk, dass die grüne Parteiführung einen Russlandfeldzug proklamiert, klimaneutral mit Solarpanzern.
Die Grünen haben alle ehemals rebellischen Gedanken gecancelt. Sie sagen nichts mehr, was man hinterher nicht richtig stellen kann, und Annalena erklärte den 1. Mai-Demonstranten per Bildzeitung:
„Barrikaden anzuzünden und gewaltsam auf Polizistinnen und Polizisten loszugehen, ist kriminell und in keinster Weise akzeptabel“. Dafür wäre sie vor ihrer Zeit aus der Frauengruppe rausgemobbt worden.
Sie ist eine typische Berufspolitikerin: opportunistisch bis auf die Knochen und im Hinblick auf existenzielle Fragen der Menschheit absolut belanglos. Zum Glück besteht ihre Wählerschaft aus Besserverdienenden, die sich vor allem gegen No-Go-Wörter und für Gendersternchen einsetzen. Für diese Klientel hat Annalena schon die passenden Krücken gefunden: „Versprechen“ und „Vergessen“.

(zuerst veröffentlicht in „Melodie&Rhythmus)

16. 6. 21


Zeitgeist

Immanuel Kants Grundfragen zu Metaphysik und Erkenntnistheorie
Was kann ich wissen?
Was soll ich tun?
Was darf ich hoffen?

gerichtet an Facebook-People, Influencer, Instagramheroes und alle Follower,
beantwortete

die Modetante:
1. Schreibt man Mohde eigentlich mit einem oder zwei O?
2. Soll ich etwa auf Schweinebraten und Kartoffelknödel verzichten?
3. In meinem neuen Hosenanzug sehe ich nur noch halb so fett aus.

die Wetterfee:
1. Sollte ich sicherheitshalber einen Schirm mitnehmen?
2. Ist es sinnvoll, heute noch den Garten zu wässern?
3. Vielleicht lässt man mich in Zukunft ja die Börsenkurse vorhersagen.

Reinhold Messner :
1. Muss ich hier etwa auch wieder runter?
2. Soll ich noch ein letztes Mal jodeln?
3. Mal sehen, ob die Kinder das Seil ordentlich zusammengeknotet haben.

Schumacher jr. :
1. Hat diese Karre denn kein Navi?
2. Darf ich hier etwa nur im Kreis rumfahren?
3. Dieses Mal werde ich die Kurve ja wohl kriegen.

der Terrorismus-Experte:
1. Bin ich der einzige Allwissende hier?
2. Muss ich den Mund halten, um niemanden zu verunsichern?
3. Gottseidank gibt es Dinge, die nur ich weiß.

die Friseurin von Boris Johnson:
1. Sind Perücken nicht doch die bessere Lösung?
2. Wäre es nicht ästhetischer, den Leuten die Köpfe abzuschneiden?
3. Ich bin nicht verantwortlich für jedes Haar in der Suppe.

der Zahnarzt von Jürgen Klopp:
1. Habe ich etwa auch so einen mörderischen Mundgeruch?
2. Eins in die Fresse, mein Herzblatt?
3. Heute wird mir mal kein Finger abgebissen.

12. 6. 21


(c) 2024 Henning Venske