Zum Geburtstag Viel Glück

In diesen Wochen feiert die NATO ihren 75. Geburtstag. Dafür sieht sie ganz schön alt aus. Ich mit meinen 85 wirke jedenfalls wesentlich jünger. Trotzdem von allen Seiten: Buono anniversario, Feliz cumpleanos, joyeux anniversaire, In bocca al lupo, Dogum günün kutlu olsun, S dnjom roshdenja, Paljon onnea syntymäpäivänäsi, Feliz aniversario, Chestit rojden den, La multi ani, Otanjou-bi omedetou gozaimasu, Saeng il chuk ha ham ni da, Sretan rodendan, Vsechno nejlepsi k tvym narozeninam, Sheng ri kuai le, Palju onne sunnipaevaks, Tavalodet mobarak, Din ki badhai, Srecan rodjendan, Vse najboljse za rojstni dan, Wszystkiego najlepszego, Efticharismena gennethlia und Happy Birthday to You! Ich wünsche diesem Verein ein gnädiges Ende.

Warum hat die NATO es nicht bei der Lieferung von Stahlhelmen, Operationsbestecken und Schlafsäcken belassen? Jetzt hat sie den Schlamassel: Die Ukraine ist in über zwei Jahren Krieg dem Endsieg keinen Zentimeter näher gekommen, hat trotzdem viele tausend Menschen verloren, jammert immer lauter um immer mehr Waffen, und die westliche Propaganda hat viel zu tun, um zu bestreiten, dass die NATO einen großen Beitrag zur Eskalation der Truppenaufmärsche geleistet hat und mitverantwortlich ist für’s Kriegsgeschehen.

Strategen von barbarossischer Kompetenz dominieren Leitartikel, Nachrichten, Podcasts und Talkshows. Sie bezweifeln, dass Russland es mit den 32 NATO-Staaten aufnehmen will und kann, sie schließen aber auch nicht aus, dass sich China und Iran, eventuell auch Indien, im Fall eines heißen Krieges auf die Seite Russlands schlagen werden, sie warnen davor, sich in diesem Fall auf die USA zu verlassen – denn die haben schon genug damit zu tun, Taiwan beizustehen, obwohl diese Insel laut UN Resolution zu China gehört und auch keinen Sitz in der UN hat – und sie halten es für möglich, dass die NATO als Bundesgenosse der USA den Krieg mit China um die Freiheit Taiwans im südchinesischen Meer ausfechten möchte.

Maskierte Ukrainer schicken deutsche Spezialkräfte an die Front

Mitten in die NATO-Geburtstagsfeierlichkeiten platzte die Nachricht, die Russen hätten ein Telefonat zwischen vier ranghohen deutschen Offizieren – 2 Generale, 2 Oberstleutnante – abgehört. Na sowas aber auch… Der eine der Gesprächsteilnehmer heißt übrigens genauso wie ich – jetzt hoffe ich nur, die Russen kennen den Unterschied zwischen „F“ und „V“ und verwechseln uns nicht…
Na gut, Ost und West hören sich täglich auf subalternen Stufen gegenseitig ab. Das war schon im kalten Krieg so. Mittlerweile kann man das Transkript dieses Telefonats auch gedruckt nachlesen, zum Beispiel im Schweizer Wochenmagazin „Die Weltwoche“ vom 6. April 24 unter der Überschrift „Stell dir mal vor, das kommt an die Presse (Hier lesen Sie, wie deutsche Spitzen-Offiziere den Anschlag auf die Krim-Brücke planen“). Die Lektüre ist ein bisschen qualvoll – das liegt vor allem daran, dass die intellektuelle Qualität dieser wertewestlichen Kameraden allzu deutlich in Erscheinung tritt und ihr unsäglicher English-Pidgin-Jargon ausgesprochen lesefeindlich ist. Aber vielleicht ist diese Verständigungsart notwendig, wenn man sich über „imagezentralisierte Missionsplanungsdaten“ austauscht.

„Da komme ich dann drauf, dass es so zwei interessante Targets halt gibt: einmal so eine Brücke im Osten und einmal Mun-Depots, wo wir reinkommen. Die Brücke im Osten ist halt schwer zu erreichen, und die Pfeiler sind relativ klein, und das kann halt der Taurus darstellen, und die Mun-Depots – da kommen wir halt durch. … That being said, wenn ich aber mir so eine Brücke anguck’, da, wo ich drauf kommen wollte, ist, dass der CEP von Taurus nicht ausreicht, um die einfach so zu targeten“ … Klar, jeder Job zieht bestimmte Charaktere an. Welcher Typ bei der Truppenführung gefragt ist, wird hier deutlich. Doch wir sehen natürlich ein, dass ein General mindestens einmal in seiner Berufslaufbahn das machen will, was er gelernt hat. Ein ganzes Berufsleben lang nicht in die Tat umsetzen zu dürfen, wofür man ausgebildet ist – furchtbar…

Das Telefonat offenbart also, welche Optionen deutsche Spitzen-Offiziere zwischen ihren Ohren bewegen, um die rund 18 km lange Kertsch-Brücke von der Krim zum russischen Festland mit Taurus-Marschflugkörpern platt zu machen. Sie überlegen, wie Bundeskanzler, Verteidigungsminister und irgendein Ausschuss manipuliert werden können, und sie stellen und beantworten wichtige Fragen:

„Kann man den Krieg pullen, dass man unsere Leute abstellt zu MBDA, dass nur eine Direct Line zwischen der MBDA und der Ukraine ist? Dann ist es weniger schlimm, wie wenn die Direct Line unserer Luftwaffe zu ihnen ist“. (Hinweis des Verf.: Die MBDA Deutschland GmbH ist ein Rüstungsunternehmen mit Sitz im bayerischen Spargeldorf Schrobenhausen; das Unternehmen entwickelt, produziert und wartet Luftverteidigungs- und Lenkflugkörpersysteme.)
Weitere Fragen:
„Können wir eine Datenbank liefern? Können wir Satellitenbilder liefern? Können wir Planungsstation liefern? Das müsste dann neben den reinen Flugkörpern, die wir haben, ja alles über die Industrie oder über die IABG laufen“. (Hinweis des Verf.: Die IABG ist ein deutsches Analyse- und Testdienstleistungs-Unternehmen in Ottobrunn bei München, tätig für Luft- und Raumfahrtindustrie sowie Verteidigung und Sicherheit.)
Oder:
„Wenn wir uns denn mal politisch entscheiden würden, die Ukraine zu supporten damit, wie könnte denn die ganze Nummer am Ende laufen?“
Antwort:
„Die TSG sagt, dass sie das machen können mit nem Zeitansatz von ungefähr sechs Monaten…“
(Hinweis des Verf.: Die TAURUS Systems GmbH bietet komplette Betreuungslösungen über den gesamten Lebenszyklus jedes Waffensystems.)

Das einfachste, um ukrainische Soldaten fit zu machen für das Abfeuern von Taurus und anderen Raketen ist natürlich: „Die Industrie bildet aus, wie bedient man das System, und wir stellen Leute dazu, die das ganze taktisch supporten“. Hauptsache, „die deutschen Hoheitsabzeichen“ kommen rechtzeitig „runter und so“. Aha. Nebenbei erfahren wir dann auch, dass in der Ukraine viele Leute mit amerikanischem Akzent in Zivilklamotten rumlaufen, aber am wichtigsten ist den Herren, wie man die für den Taurus-Start notwendigen Daten in die Ukraine schafft: „Das kann man theoretisch sogar aus Büchel machen mit einer sicheren Leitung in die Ukraine rüber, den Datenfile rüber transferieren, und dann wäre er verfügbar, und man könnte es gemeinsam planen. (Hinweis des Verf.: Der Fliegerhorst Büchel liegt in Rheinland-Pfalz und dient dem Taktischen Luftwaffengeschwader 33 als Basis.) … Wenn man jetzt politisch Sorge hätte, dass diese Line von Büchel direkt nach Ukraine eine zu direkte Beteiligung ist, könnte man dann auch sagen: Okay, das Datenfile wird bei MBDA gemacht, politisch jetzt halt vielleicht was anderes, wenn der Datenfile von der Industrie kommt … Wir müssen halt aufpassen, dass wir nicht gleich zu Beginn im Kriegskriterium formulieren. Wenn wir dem Minister jetzt sagen … wir planen die Daten und fahren sie dann von Polen aus mit dem Auto rüber, damit es keiner mitkriegt – das ist ein Kriegskriterium … Die Frage wird sein, wo kommen die Daten her … Wenn es um die Zieldaten geht, die idealerweise mit Satellitenbildern kommen, weil dadurch gibt es dann die höchste Präzision, dass wir also unterhalb von drei Metern Genauigkeit haben“… Usw.

Wahrscheinlich ist der Eindruck falsch, dass Krieg bloss ein Spiel für gelangweilte Militärs ist, die mit dem Leben von Soldaten spielen und nebenbei die Rüstungsindustrie ankurbeln. Aber dass diese führenden Militär-Personen über das gleiche Intelligenz-und Bildungs-Niveau sowie die gleiche außergewöhnliche Fach-Kompetenz verfügen wie wir sie von den Personen der politischen Führung kennen – dieser Eindruck ist vermutlich richtig.

Was beide Berufsgruppen gerne übersehen, ist Artikel 26 des deutschen Grundgesetzes. Der besagt, dass
Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorbereiten, verfassungswidrig sind.
Dies stellt eine klare Verpflichtung dar, keine Handlungen zu unternehmen, die Krieg provozieren könnten…

Doch wir lassen uns unsere Mythen nicht ruinieren, schon gar nicht die der NATO: Einsatz für Völkerrecht und Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit begründet den großen Mythos von der Wertegemeinschaft. Wir sind, wie unsere Vorfahren, der festen Überzeugung, dass der Mensch zwar im Frieden keinesfalls andere Menschen umbringen darf, im Krieg jedoch auf Befehl so viele Menschen wie möglich umbringen muss. Und außerdem hat der Mensch im Krieg auch noch die Pflicht, sein Recht auf Leben (einen Höchstwert der Verfassung) aufzugeben und sich umbringen zu lassen. Leute, die deswegen abhauen wollen, werden eingefangen, Deserteure werden eingesperrt, und sogenannte Kollaborateure fallen geheimdienstlichen Attentaten zum Opfer.

Der Präsident und politische Kriegsherr der Ukraine verteidigt die Souveränität und territoriale Integrität seines Landes gegen den russischen Angriff und schwört, mit dem Kriegführen nicht eher aufzuhören, bis die Russen von jedem Meter ukrainischen Bodens, einschließlich der Krim, vertrieben sind. Getötet und gestorben wird also dafür, dass die Macht der Regierung in Kiew bis nach Donezk und Sewastopol reicht und sich im beanspruchten Hoheitsgebiet keine andere politische Herrschaft breit macht. Seine Machtansprüche begründet der Präsident nicht, die Verkündung des Kriegsziels ist ihm Rechtfertigung genug.

Selbstverständlich lässt sich vom russischen Staat und seinen Machtansprüchen dasselbe sagen:
Eine hochgerüstete NATO-Ukraine an seiner Westgrenze versteht dieser Staat als Angriff auf den russischen Weltmachtstatus. Und für ihr Geltungsbedürfnis opfert jede Weltmacht bedenkenlos seit jeher massenhaft Leute, die nie gefragt werden, ob sie darin eine Wertsteigerung ihres Lebens sehen.

11. April 2024


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