O des Diebstahls! O der Lüge!
Als erstes liefen alle Keller voll Wasser. Das Haltbarkeitsende von Stahl- und Spannbeton war in Kürze erreicht, Fundamente wurden mürbe und zerbröselten, Brücken, Bahnhöfe, Wohnblocks und Kathedralen stürzten ein, und schließlich wurden sogar Autos, Flugzeuge und Riesenräder von der Vegetation überwuchert.
Alle Menschen starben, was dann auch ihren Haustieren die Lebensgrundlage entzog.
Als die wenigen überlebenden Wölfe und Bären die letzten mageren Ratten und Mäuse gefressen hatten, versuchten sie, auf einen veganen Speiseplan umzusteigen, was ihnen im Lauf der Evolution dann irgendwann vielleicht auch gelang…
Die Menschen haben nicht die Erde zu Grunde gerichtet – das konnten sie nicht – sie haben nur sich selbst ausgerottet. Erst haben sie ruiniert, was sie zum Leben gebraucht hätten: Luft, Wasser, Grund und Boden, und dann gaben sie sich mit allen zur Verfügung stehenden Waffen den Rest. Sie führten Krieg, obwohl sie ganz genau wussten: Krieg hat nichts Fortschrittliches an sich. Krieg ist der Triumph einer menschenfeindlichen Ideologie der Macht. Krieg entsteht aus imperialer Gier, aus dem Machthunger der Herrschenden. Angelegenheit der einfachen Leute ist es hingegen nur, in patriotischer Trance über die Erfolge des Fortschritts an den Fronten zu diskutieren und schließlich ohne weitere Umstände zu sterben.
Die Ukraine ist nicht das erste Opfer dieser Konstellation, und sie wird auch nicht das letzte sein. Für massive Aufrüstung und schwere Waffen wird gesorgt, überall werden Pflugscharen zu Schwertern umgeschmiedet, und gern singt man dazu „Give Peace a Chance“. Und warum das Ganze? Warum? 1841 porträtierte Heinrich Heine den Bären Atta Troll, einen edlen Anarchisten, der Auskunft gibt über das Menschenwesen.
In Caput X erfahren wir:
Jetzt sind freilich aufgeklärter
Diese Menschen, und sie töten
Nicht einander mehr aus Eifer
Für die himmlischen Intressen; –
Nein, nicht mehr der fromme Wahn,
Nicht die Schwärmerei, nicht Tollheit,
Sondern Eigennutz und Selbstsucht
Treibt sie jetzt zu Mord und Totschlag.
Nach den Gütern dieser Erde
Greifen alle um die Wette,
Und das ist ein ew’ges Raufen,
Und ein jeder stiehlt für sich!
Ja, das Erbe der Gesamtheit
Wird dem einzelnen zur Beute,
Und von Rechten des Besitzes
Spricht er dann, von Eigentum!
Eigentum! Recht des Besitzes!
O des Diebstahls! O der Lüge!
Solch Gemisch von List und Unsinn
Konnte nur der Mensch erfinden.
Keine Eigentümer schuf
Die Natur, denn taschenlos,
Ohne Taschen in den Pelzen,
Kommen wir zur Welt, wir alle.
Keinem von uns allen wurden
Angeboren solche Säckchen
In dem äußern Leibesfelle,
Um den Diebstahl zu verbergen.
Welchen Diebstahl?
Die russische Seite will das Donezbecken einsacken, kurz auch Donbas genannt – ein großes Steinkohle- und Industriegebiet beiderseits der russisch-ukrainischen Grenze. Diese von der Schwerindustrie geprägte Region wurde wegen ihrer Rohstoffvorkommen bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts industrialisiert. Obwohl das Donbas seine ertragreichste Zeit wohl hinter sich hat, ist da immer noch einiges für Russland zu holen…
Die westliche Seite will die ukrainische Schwarzerde besitzen, die fruchtbarsten Böden der Welt. Die Ukraine ist ja nicht nur die Kornkammer Europas – jährlich werden hier über 60 Millionen Tonnen Getreide produziert, hauptsächlich Weizen, Mais und Gerste – das Land ist auch einer der größten Produzenten von Zuckerrüben in Europa und Weltmarktführer bei den Ölsaaten. Bisher war der Verkauf landwirtschaftlicher Flächen in der Ukraine verboten, aber der Internationale Währungsfond hat als Anwalt der westlichen Agrarkonzerne ganze Arbeit geleistet und Kredite an das verarmte Land daran gebunden, dass das Verbot aufgehoben wird. Das hat prima geklappt, es wurde ein neues Gesetz zum Verkauf der Schwarzerde in einer bemerkenswerten Koalition der Parteien von Präsident Selensky und seines Vorgängers Poroschenko beschlossen. Das soll und wird ohne Zweifel zu einer Konzentration der landwirtschaftlichen Flächen in den Händen einiger weniger westlicher Lebensmittel- Konzerne führen. Zur neoliberalen Weltordnung gehört nunmal der Kampf um Rohstoffe und Absatzmärkte. Deswegen der Wettlauf um die Kontrolle des Landes, darum organisiert die deutsche Regierung im Namen aller europäischen Werte und der deutschen Wirtschaft eine finanz- und handelskriegerische „Ruinierung“ Russlands (eleganter O-Ton Baerbock). Ich wage die Vermutung: Putin hat die Krim annektiert, nur damit der Westen nicht die ganze Ukraine in Besitz nehmen konnte. Atta Troll wusste es schon immer:
Nur der Mensch, das glatte Wesen,
Das mit fremder Wolle künstlich
Sich bekleidet, wußt auch künstlich
Sich mit Taschen zu versorgen.
Eine Tasche! Unnatürlich
Ist sie wie das Eigentum,
Wie die Rechte des Besitzes –
Taschendiebe sind die Menschen!
Aber in großem Stil.
21. März 22