Nachhilfe

Moin Lindner – knien Sie sich hin, das stärkt Ihre Aufmerksamkeit. Auch Sie, der freiheitlichste Finanzminister aller Zeiten, sind mit der Inkompetenz, der Faulheit und der Bösartigkeit Ihrer Mitmenschen konfrontiert. Doch vermutlich sind Sie auch froh darüber, wieviele Einrichtungen im Land zuverlässig funktionieren: Ampeln, Ladenschlusszeiten, Absperrung von Baustellen, Wettervorhersage, Preiserhöhungen, Druck neuer Formulare, Mittagspausen, Funklöcher, Schneefallgrenze, Gastronomengejammer und sogar Sonnenauf- und untergang. Wie das alles funktioniert trotz des miesen Personals – das ist ein Wunder…
Nun ist aber zu hören, Sie haben Schulden und machen sich deswegen Sorgen. Das müssen Sie nicht – Schulden schützen auch Sie davor, vergessen zu werden, und schon Ihre beiden Amtsvorgänger (1961-66) und Kollegen im Parteivorstand der FDP, Heinz Starke und Rolf Dahlgrün, haben nicht nur ihre Mitgliedschaft in der NSDAP unbeschadet überstanden, sondern auch immer gewusst, dass Staatsschulden keinesfalls den zuständigen Minister persönlich belasten dürfen, und: Wo Schulden sind, gibt’s auch Profiteure – Banken und Konzerne, Landwirtschaft, Militär und andere Subventionsempfänger. Und die gilt es zu unterstützen. Wie?
Nun, es reicht nicht, nur Bürgergeld und Grundsicherung einzusparen, nein, man muss auch am richtigen Ende sparen, radikal, bei den sogenannten Sozialschmarotzern, also denen, die im Müll graben, um ihren Lebensstandard aufzubessern: Da sind Müllgebühren einzufordern, ferner kann man von denen, die Flaschen aus Abfalltonnen klauben, Pfand verlangen und von denen, die in Hauseingängen übernachten, Schlafgeld erheben. Die Hungerleider an den Tafeln sollen gefälligst einen Tafel-Beitrag bezahlen, und wer sagt denn, dass die Ehre der Ehrenamtlichen kostenlos zu haben sein muss?
Doch damit, Lindner, sind Ihre Möglichkeiten noch nicht erschöpft: Für Menschen mit Migrationshintergrund können Sie eine Aufenthalts-Grundgebühr in Höhe von 50 Euro wöchentlich erheben. Diese Besteuerung ist rückwirkend vom Tag des Grenzübertritts an zu zahlen. Wer pünktlich bezahlt, bekommt einen Freibrief für körperliche Unversehrtheit auf Polizeiwachen. Wer die Steuer nicht zahlt, wird abgeschoben. Dafür wird dann eine Abschiebegebühr erhoben: 1 € pro Flugkilometer. Wer den nicht bezahlen kann, muss sich mit einer Organspende an den Flugkosten beteiligen.
Strafgefangene in den Gefängnissen werden zu einem Unterbringungs-Obolus verpflichtet, da ihre privaten Mietkosten ja entfallen und der bisher vom Strafgefangenen beanspruchte Wohnraum anderweitig vermietet werden kann. Die Warmmiete der Gefängniszellen richtet sich nach den Quadratmeterpreisen des nächstgelegenen Baumarktes. Toilettengänge, Duschbäder und das tägliche Wechseln der Unterhose werden extra besteuert. Die Preise richten sich nach den Krankenhaustagessätzen. Ergänzend werden Nichthundebesitzer zur Zahlung der doppelten Hundesteuer herangezogen, weil sie a) lieblos und b) nicht ausreichend sicherheitsbewusst sind.
Eingedenk der Tatsache, dass die Aufzucht, Ernährung, Krankenversorgung, Ausbildung, Kleidung und auch die finale Entsorgung von Kindern der Allgemeinheit enorme Kosten aufbürden, wird ab dem Zweitkind für jedes weitere Kind eine nicht zu knapp bemessene Kindersteuer erhoben. Es gibt schließlich keinen vernünftigen Grund, warum der Staat die Produktion des Kostenfaktors Kind fördern sollte.
Lindner, Sie müssen den Sozialstaat ins 19. Jahrhundert zurück versetzen, in die Zeit weit vor Bismarcks Sozialgesetzen, als die Versorgung der Alten, Kranken und Bedürftigen noch ein wundervolles Beispiel für menschliche Barmherzigkeit war. Setzen Sie durch, dass die Ausbeutung der Reichen endlich beendet wird! Es ist doch bei Gott würdevoller und sozialpsychologisch auch produktiver, das Gemeinwesen durch freiwillige Zuwendungen von aktiven Steuerbürgern zu fördern statt den Sozialstaat mit fiskalischen Zwangsabgaben zu füttern.
Wenn das nicht durchsetzbar ist, sollte eine Senkung der Spitzensteuersätze die Besserverdiener wenigstens in die Lage versetzen, sich endlich mal wieder richtig satt zu essen, die zerschlissene Garderobe zu erneuern und vielleicht sogar ein neues Gebrauchtfahrrad zu kaufen. Das wird dann mit Sicherheit die Binnennachfrage ankurbeln, die Konjunktur beleben und letztendlich auch das notwendige Personal für Millionen unbesetzte Arbeitsplätze schaffen.
Man weiß mittlerweile, die Klimaschädlichkeit eines Menschen hat unmittelbar mit seinen Vermögensverhältnissen zu tun. Durch ihren naturgemäß hohen Lebensstandard befeuern die Reichen zwangsläufig Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen sowie die weltweite Luftverschmutzung. Es ist also eine Frage der Menschenrechte und des Artenschutzes, ihr Überleben durch massive Steuerentlastungen zu sichern. Und, Lindner, lassen Sie sich nicht einreden, es wäre unterlassene Hilfeleistung, wenn Sie sich weigern, Reichtum im Land stärker zu besteuern. Im Gegenteil: Die wenigen wirklich arbeitenden Menschen im Land dürfen nicht noch weiter belastet werden! Nur eine spürbare Unterstützung der großen Vermögen und die Ausweitung einer wachstumsorientierten Erbschaftssteuer-Gesetzgebung öffnet der jungen Generation einen zielorientierten Weg in die Ideologie des Neoliberalismus. Es ist nur gerecht, wenn einerseits Steuern auf Gewinne und Einkommen bis zur endgültigen Abschaffung beständig sinken und andererseits die Kostgänger des Staates, also die Nutznießer, ihren Staat auch alimentieren, indem sie beständig steigende Mehrwert- Energie-Lotto-Tabak- oder Versicherungs-Steuern ohne Mullen und Knullen – wie die Chinesen sagen – in den Haushalt einbringen.
Kurz und gut: Es muss überall alles gekürzt werden, außer bei den Reichen, deren Reichtum immer mehr Reichtum schafft, und bei der Aufrüstung, die ebenfalls außerordentliche Gewinne generiert. Außerdem: Wer befürwortet, schwierige Haushaltslagen durch Kürzungen in den kulturellen Etats zu beseitigen, geht einen Schritt in die richtige Richtung: Außenministerin Baerbock beispielsweise lässt gerade Goethe-Institute im Ausland schließen. Sehr gut! In diesen Institutionen entsteht bekanntlich nichts außer einem bisschen „kulturelles Miteinander“, und wer braucht das schon…? Kultur, die nicht kostendeckend agiert, kann sich ein erfolgsorientierter Staat nicht leisten.
Und schließlich, Lindner, um die gegenwärtige Krise in den Griff zu kriegen, fangen Sie am besten bei sich selbst an: Verordnen Sie sich und Ihren Kolleginnen und Kollegen in der Politik die 4-Tage-Woche. Das bringt nicht nur Ihre Works-Life-Balance in Ordnung, sondern verringert logischerweise auch die Anzahl Ihrer Fehlentscheidungen.
Sie bleiben auf Ihren Knien, Lindner, bis ich den Raum verlassen habe. Ach ja, noch eins: Der Dichter Erich Kästner hat Ihnen und Ihrer Klientel eine Ansprache hinterlassen – als Warnung, falls Sie sich nicht an meine Anweisungen halten. Diese Zeilen lernen Sie bis morgen auswendig:

Warum wollt ihr so lange warten,
bis sie euren geschminkten Frauen
und euch und den Marmorpuppen im Garten
eins über den Schädel hauen?
Warum wollt ihr euch denn nicht bessern?
Bald werden sie über die Freitreppen drängen
und euch erstechen mit Küchenmessern
und an die Fenster hängen.
Wie lange wollt ihr euch weiter bereichern?
Wie lange wollt ihr aus Gold und Papieren
Rollen und Bündel und Barren speichern?
Ihr werdet alles verlieren…

Also sprach Mansa Musa, König von Timbuktu, der reichste Mann aller Zeiten
27. Dez. 2023


(c) 2024 Henning Venske