Ehre & Ruhm

Ich habe mich entschlossen, zu glauben, was mir das ZDF tagaus+tagein einzutrichtern versucht: Putin ist ein großrussisch-völkisch denkender Faschist, der ausschließlich seinen Völkermord-Gelüsten folgt und keinesfalls ökonomische, geopolitische oder sicherheitspolitische Interessen wahrnimmt. Mit einer unvergleichlichen Mischung aus Nachrichten und Kommentaren macht das ZDF mir immer wieder klar: Die Ukraine hat in diesem Wertekonflikt ein Recht auf internationale Solidarität und Selbstverteidigung, und zwar auch militärisch – Adolf Hitler, der Serienheld des ZDF, ist schließlich auch nur durch Waffengewalt zu stoppen gewesen. Und wer anderer Meinung als das ZDF ist, der ermutigt Putin, weiterzumachen, womöglich sogar das Baltikum zu überfallen, so wie Hitler 1939 Polen überfiel.

Ich finde es atemberaubend und einmalig, wie leidenschaftlich sich die Moderatoreninnen und Sprecherinnen von ZDF-Heute für den »Volkskrieg« der Ukrainer ins Zeug legen, und wie sie dabei auch noch die alten Gespenster – die antiquierte Friedensbewegung, den bornierten Antiimperialismus und die bescheuerten Antikapitalisten – in die Schranken weisen. Es kann wirklich nur noch wenige Tage dauern, bis sich die ganze Redaktion nach dem historischen Vorbild der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg in die Schützengräben vor Saporischschja und Bachmut wirft, um Seite an Seite mit der Asow-Brigade die „Freiheit und Demokratie des Westens“ gegen den „östlichen Autoritarismus“ zu verteidigen, auch wenn das Land zur Zeit noch kein demokratisches Vorzeigeprojekt ist, wovon man im Westen aus Datenschutzgründen natürlich kaum etwas erfährt: Die Bevölkerung muss erhebliche Sozialkürzungen ertragen, fundamentale Bürgerrechte sind ausgesetzt, Staatsbetriebe werden in großem Umfang privatisiert, und es sind auch noch Reste von Korruption zu bemerken. Aber das zeigt ja gerade, wie intensiv die Ukraine sich auf ihre EU-Mitgliedschaft vorbereitet, und wie notwendig es ist, dass wir alle unsere Solidarität einbringen: Die ukrainische Bevölkerung braucht Milliarden für Waffen, Munition und schleunigst auch den Taurus, also den unbesiegbaren deutschen Mittelstrecken-Luft-Boden-Marschflugkörper. Diese Dinge sind wesentlich wichtiger als Wohnungen, Kleidung und Lebensmittel, denn sie sind Friedensstifter. Genauso wie die Sanktionen, die dem verhassten Feind Dunkelheit, Kälte und letztlich den Hungertod bringen und dadurch ebenfalls für Frieden sorgen.

Wer das bestreitet, wer vor einer Eskalationsspirale und einem Marsch in den dritten Weltkrieg warnt und diplomatische Anstrengungen für eine Friedenslösung fordert, ist bereits eine Opferin von Putins Angstpropaganda, dem man nur raten kann, viel mehr – oder nur noch – ZDF zu schauen. Überlegungen, es sei allmählich Zeit für einen Waffenstillstand, um eine Eskalation dieses Krieges auf dem Rücken der ­ukrainischen Bevölkerung zu verhindern – diese widerwärtige Form von Wehrkraftzersetzung, dieser verderbliche Irrsinn zivilen Denkens, ist zum Glück noch nicht in die Gehirne der Insassen der Anstalt auf dem Mainzer Lerchenberg vorgedrungen.

Als unbeteiligter, aber zutiefst solidarischer Zuschauer kann ich nur sagen, es bringt ja nun auch wirklich nichts, so einen Krieg vom Ende her zu denken: Man kann die Risiken nicht kalkulieren, man weiß nicht, kommen dann etwa noch Aerosolbomben zum Einsatz, Chemie- und taktische Atomwaffen, und ließe sich ein atomar geführter Krieg auf das Gebiet der Ukraine beschränken? Das weiß man alles nicht, und eigentlich kann man nur hoffen und beten, dass ein direkter Einsatz von NATO-Truppen den Zusammenbruch des gesamten russischen Militärs, den totalen Endsieg der Ukraine und damit den Triumph unserer westlichen Werte bewirkt. Doch wer über sowas nachdenkt, ist ein feiger Pessimist, ehrlos, unsolidarisch, ein fahnenflüchtiger Kretin und anarchokommunistischer Feind der deutschen Rüstungsindustrie.

Ich darf sagen, dass ich glücklich, dankbar und auch stolz bin, ein Deutscher zu sein, weil ich absolut auf
Seiten des ZDF und auch der anderen Fernsehanstalten stehe, die weltweit für Frieden und Gerechtigkeit kämpfen: Sie treiben gemeinsam die deutsche Bundesregierung vor sich her, damit die der kurdischen Bevölkerung in Nordsyrien und Nordirak schnellstmöglich ebenfalls nicht nur Kampfflugzeuge und Bomben
liefert, sondern auch Taurus-Lenkwaffen, um sich gegen den türkischen Autokraten Erdogan und seine mörderischen Truppen verteidigen zu können und wenn möglich auch, um zivile Ziele in Ankara und Antalya platt zu machen.

Unter dem Motto „Wir sind die Guten – Ein Herz für die Wüste“ planen alle Fernsehsender für den Herbst gemeinsam eine Reihe von Showveranstaltungen mit einer gigantischen Spendenaktion, um endlich auch der jemenitischen Bevölkerung im Sinne einer „regelbasierten Weltordnung“ mit Panzerhaubitzen und anderem Kriegsgerät gegen den Angriffskrieg des diktatorisch regierten Saudi-Arabien und seiner verbrecherischen Nachthemden-Dynastie beizustehen. Und weil die werteorientierte deutsche Außenpolitik, wie Frau Baerbock im Fernsehen unwidersprochen sagen durfte, „durch die Europäische Friedensordnung, die Charta der Vereinten Nationen und das humanitäre Völkerrecht geleitet“ wird, winkt der Nachrichtenredaktion des ZDF im nächsten Jahr bestimmt der Friedensnobelpreis.

13. August 23


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