Der Noske – Versteher

Gustav Noske war Sozialdemokrat. Nach seiner Jungfernrede im Reichstag 1907 widmete ihm der Satiriker Alexander Moszkowski in den „Lustigen Blättern“ ein mehrstrophiges Gedicht, in dem es heißt: Noske schnallt den Säbel um, Noske geht aufs Ganze, Noske feuert bum, bum, bum, Noske stürmt die Schanze.
Gustav Noske stimmte als Reichstagsabgeordneter und „Experte“ für Militär-, Marine- und Kolonialfragen in der Folgezeit für Kriegskredite, fuhr zu Beginn des Ersten Weltkriegs als begeisterter Kriegsberichterstatter nach Belgien, rechtfertigte oder verharmloste dort die Massaker des deutschen Militärs an der Zivilbevölkerung und stellte seinen Antisemitismus mit Beleidigungen Rosa Luxemburgs unter Beweis. Als Anfang November 1918 der Matrosenaufstand in Kiel losging und eine Militärstreife bei einer Kundgebung von Matrosen und Arbeitern sieben Männer erschoss und 29 schwer verletzte, wurde Gustav Noske vom kaiserlichen Reichskanzler Prinz Max von Baden nach Kiel geschickt, um die Revolution zu stoppen. Unter Vortäuschung einer revolutionären Gesinnung ließ sich Gustav Noske an die Spitze des Arbeiter- und Soldatenrats wählen. Noske schrieb in seinen Memoiren, er habe 1919 „ausgemistet und aufgeräumt, in dem Tempo, das damals möglich war“. Da war vieles möglich: Gemeinsam mit faschistoiden Militärs und Freikorps organisierte er die Niederschlagung der revolutionären Arbeiterkämpfe, rund 1200 Arbeiterinnen und Arbeiter wurden im März 1919 in Berlin getötet. Noske hatte die sofortige Erschießung jedes Aufständischen angeordnet, der „mit der Waffe in der Hand gegen die Regierungstruppen kämpfend angetroffen wird“. Auf Noskes Konto gehen etwa 5.000 Tote. Ob zu seiner Rechtfertigung oder aus Stolz auf seine „Pflichterfüllung“ als Reichswehrminister oder aus Zynismus prägte er den Satz „Einer muss der Bluthund sein“. Hitler bezeichnete Noske 1933 in einer Rede im Berliner Sportpalast als „Eiche unter diesen sozialdemokratischen Pflanzen“. Nochmal, prophetisch, „Die lustigen Blätter“: Lasst’s euch nicht verdrießen: Denn wir wissen absolut: Noske, der wird schießen!
Vor gut zehn Jahren trat der heutige Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck an, den Bluthund Noske im milden Schein seiner Bio-Betrachtungsweise auf der Theaterbühne zu präsentieren. Da war er immerhin schon vier Jahre Vorsitzender des schleswig-holsteinischen Landesverbandes von Bündnis 90/Die Grünen. Zusammen mit seiner Frau schrieb Habeck das Theaterstück „Neunzehnachtzehn“. Es handelt vom Aufstand der Kieler Matrosen und Arbeiter. Und von Gustav Noske, einem Menschenrechtskämpfer ganz moderner Art. Nun vergegenwärtigt so ein Theaterstück ja nicht nur die Geschichte mit literarischen Mitteln – vielmehr gibt es vor allem Auskunft über die Geschichtsauffassung seines Autors und beleuchtet dessen Welt- und Gesellschaftsbild. Robert Habeck erklärte dazu: Noskes „Changieren zwischen ‚eigentlich will ich die Revolution, und andererseits suche ich die Ordnung oder versuche sie zu steuern‘ ist ein Stück weit, wenn ich das so sagen darf, ohne es zu übertreiben, eine Metapher für den Alltag auch als grüner Bundesvorsitzender.“ Wer hätte das gedacht? Noske ermordete und beerdigte die Revolution im Bündnis mit der Konterrevolution. Ist das wirklich eine Metapher für Habecks Arbeit als Parteivorsitzender? Dann erstreckt sich das politische Bemühen von Habeck also darauf, sich einerseits als felsenfester Teil in der Bewegung zu inszenieren, die man andererseits, wegen der öffentlichen Ordnung, versteht sich, in buttermildem Reformismus ersticken will. Habeck im Interview: „Das Herz schlägt für die Revolution, ganz klar. Aber… Das ‚Aber‘ ist, dass ich sowohl in der Revolution, das kann man ja ganz gut studieren, wie auch bei kleineren Projekten, also Landwirtschaftspolitik, Energiewende, sehr genau weiß, dass manchmal Alternativen nur die Wahl zwischen schlecht und schlechter sind. Jede politische Entscheidung hat eine Konsequenz, und nicht immer nur eine tolle Konsequenz“. So kann man sogar einen Noske exkulpieren…. Die Herren Noske und Habeck sind beide keine Revolutionäre, und so redet Noske in Habecks Theaterstück, als stünde er auf einem Grünen-Parteitag vor den Delegierten: „Die Gegenwart fordert all unsere Aufmerksamkeit. Etwas Altes geht zu Ende. Aber das Neue hat noch nicht begonnen. Wir befinden uns mitten in einer Zeit des Übergangs. Aber wir (…) gestalten den Übergang. Wir haben die Pflicht, ihn zu gestalten“. Das ist genau jener uns vertraute Ton zwischen Allgemeinplatz, Pathos und Einschleimerei, wie ihn routinierte Politiker*innen jederzeit parat haben.
Habeck schreit hurra! hurra! Habeck hält die Wachen,
Habeck schießt Viktoria, Habeck wird’s schon machen!
Wie auch immer – als Realpolitiker geht man über Leichen. Avanti Dilettanti:
Beim Thema Waffenlieferungen an die Ukraine sieht Vizekanzler Habeck eine große Dynamik, und auch einen weiteren Schritt – die Lieferung von Kampfpanzern wie dem „Leopard“ – schließt er nicht aus. Ihn hat vermutlich überzeugt, dass man mit dem Leopard, wenn er nicht gerade in Reparatur ist, in vollem Tempo (bei 70 km/h) auf Russen schießen kann. Habeck verweist darauf, dass es bereits eine große Bewegung bei den Beschlüssen zur Lieferung von Panzerfäusten bis hin zum Schützenpanzer „Marder“ gegeben habe: „Ich denke, dass diese Dynamik weitergehen wird, solange der Krieg sich dynamisch entwickelt.“ Die „Marder“-Entscheidung bezeichnete er als „gut“ und „lange überfällig“. Die „Bild am Sonntag“ applaudierte diesem Beschluss: „Der Marder hat sich in Afghanistan bewährt!“ Ach wirklich – als Fluchtfahrzeug? Und die Süddeutsche Zeitung formulierte, wie immer, Klartext: „Der Westen erhöht den Einsatz“. Schon klar, das ganze ist ein Glücksspiel und die Banken gewinnen immer… Also, Verhandlungen sind weiterhin nicht vorgesehen…
Aber zu verhandeln, das heißt ja nicht, zu kapitulieren, sondern es heißt, Angebote zu unterbreiten und Kompromisse zu erarbeiten, und dass mit Russland Absprachen durchaus möglich sind, zeigen doch die Verhandlungen über die Getreideexporte… Müssten Sie, Herr Habeck, der Sie sich als „pragmatischen Idealisten“ bezeichnen, nicht weit über den regierungsamtlichen Bellizismus und die Endsieg-Phantasien in der Ukraine hinaus denken? Durch eine erhöhte Feuerkraft, Herr Habeck, werden Sie Russland wohl kaum dazu animieren, bei der Bekämpfung des Klimawandels und der Bewältigung der sozial-ökologischen Wende mitzumachen, und den weltweiten Rüstungswettlauf zu stoppen und die Abschaffung aller Atomwaffen zu erreichen, das werden Sie auf Ihre martialische Tour erst recht nicht schaffen. Bedenken Sie: Ihr Noske hat nicht nur seine Zukunft hinter sich – er hat auch nie eine gehabt…

9. Januar 23


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